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Blogeintrag

„Does Capitalism have a Future?“ – „Stirbt der Kapitalismus?“

Buch über die Zukunft unseres Wirtschaftssystems nun auch in deutsch erschienen.

Fünf renommierte Sozialwissenschaftler denken über die Zukunft unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystem nach. Und erfrischender Weise tun sie dies nicht im Konsens. Ohne sich einfach nur wechselseitig akademisch gepflegt auf die Schulter zu klopfen, debattieren sie sehr unterschiedliche Szenarien – und ebenso unterschiedliche Gründe für den „next big turn“. Sie, das sind: Immanuel Wallerstein, Randall Collins, Michael Mann, Georgi Derluguian und Craig Calhoun.

Immanuel Wallerstein gibt dem jetzigen System nur noch wenige Jahrzehnte bis es kollabiert. Randall Collins kommt zu einer ähnlichen Prognose. Beide sind sich einig darin, dass sich die Fähigkeit zur Akkumulation von Kapital erschöpft – auch wenn die Gründe dafür bei beiden Autoren unterschiedlich sind: bei Wallerstein liegen sie in der ökonomischen Struktur selbst bedingt (eine These übrigens, die eine aktuell im Cambridge Journal of Economy veröffentlichte Studie datenbasiert bestätigt), führen am Ende zu frustrierten Kapitalisten; bei Collins geht es dagegen vor alllem um das Verschwinden der Mittelklasse aufgrund von technologisch bedingter Rationalisierung.

Michael Mann interessiert sich stärker die Frage ökologischer Gefahren und diskutiert zwei Szenarien, die sich vor allem unterscheiden im Ausmaß der jeweils exkludierten Bevölkerung. Vor allem aber sieht er keinen Grund für ein Ende des Kapitalismus und argumentiert dabei historisch: schon im Großbritannien des 18. und 19. Jahrhunderts habe es Phasen eines geringen wirtschaftlichen Wachstums von rd. 1 Prozent gegeben — das führe nicht unweigerlich zu einem Ende des Wirtschaftssystems.

Derluguian ringt sich am wenigsten zu einer Prognose über die Überlebensfähigkeit des Kapitalismus durch, im Fokus steht bei ihm der Aufstieg und Fall der UDSSR, für die entwickelten kapitalistischen Länder aber sieht er erhöhte Risiken für eine Rückkehr von Rassismus und Nationalismus mit entsprechenden Formen der Auseinandersetzung.

Calhoun konzentriert sich auf die Dynamik des Kapitalismus, Kosten — insbesondere soziale und ökologische - zu externalisieren. Für ihn ist es der Neoliberalismus, der einen funktionierenden Kapitalismus in Frage stellt: um die externalisierten Risiken gesellschaftlich zu bearbeiten sei die kapitalistische Wirtschaft darauf angewiesen, dass nicht-wirtschaftliche Institutionen — von der Familie bis zum Staat — diese Risiken bearbeiten und abmildern. Eben diese aber schwäche der Neoliberalismus zunehmend.

Unterschiedliche Perspektiven, widersprüchliche Positionen — ein lohnendes Buch, gerade weil Analyse, Begründung und Prognose jeweils unterschiedliche Pfade aufgreifen und sich die Autoren trotzdem wechselseitig aufeinander beziehen und auch kritisch aneinander reiben. So betonen die Autoren in der gemeinsamen Einleitung, ihr Buch sei „not a manifesto sung in one voice” sondern „a debate of equals”. Der Kapitalims sei — so eine weitere zentrale Aussage der Einleitung — nur eine historische Konfiguration, a „different and more satisfying organization of markets and human society may yet become possible“. Das lässt doch hoffen, wenn auch wohl eher nicht in Bezug auf die eigene Lebensspanne. Schließlich, auch da sind sich alle fünf Autoren einig, sind wir eingetreten in „a stormy and murky historical period” von mehreren Jahrzehnten.

Kaum ein Satz bringt den soziologischen Blick auf Geschichte und Wandel wohl besser auf den Punkt als dieser: „Humans do make their futures, in conflict and assiciation with other humans, even if not in the circumstances of their own choosing”. Und aus dieser Perspektive kritisieren die Autoren abschließend auch die eigene Zunft der „contemporary social sciences”, ihnen/uns werfen sie vor die „willfull abstraction from structural possibilities of historical change”.

Vieles erscheint pessimistisch, alle Autoren prognostizieren mehr oder weniger eindeutig und mehr oder weniger dramatisch, dass uns Jahrzehnte, gesellschaftlicher und ökologischer Krisen erwarten. Im ebenfalls gemeinsamen Abschlusskapitel findet sich trotz all der weniger schönen Aussichten auch die Aussage: „optimism is a necessary historical condition for mobilizing emotional energies in a world facing the choice of divergent opportunities”.

Die deutschsprachige Fassung wird sicher vielfach rezipiert werden, es lohnt aber auch der Blick in das englischsprachige Original – trotz der komplexen Materie liest es sich gut und leicht verständlich. So oder so lohnt sich das Buch, Nachdenken über unsere Zukunft war selten spannender — und beängstigender — als jetzt. Kritisch anmerken lässt sich, dass man der Vielfalt der skizzierten Entwicklungsmöglichkeiten trotz allen Abgrenzungs- und Relativierungsversuchen sozusagen die geschichtliche und nationale „embeddedness” der Autoren selbst anmerkt. Vieles bleibt — wenn auch in Negation — stark verstrickt mit der Nachrkiegsentwicklung und aus einer kritischen Perspektive mitten in entwickelten westlichen Kapitalismen. Aber wem wollte man das ernsthaft vorwerfen, auch Makrosoziologen sind Produkt ihrer Biografie und sozialen Umwelt.

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