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Blogeintrag

Der Arbeitskraftunternehmer und sein Habitat: Die On Demand oder Sharing Economy

Studie zur 1099 Work Force von Request for Startups gibt Einblick in die Arbeits- und Lebensbedingungen bei Uber & Co.

Request of Startups ist ein Newsletter für Gründer und Investoren. Gerade haben dort mehrere Autoren die Ergebnisse einer nicht repräsentativen Online-Befragung veröffentlicht, an der 1330 Befragte teilnahmen (komplett ausgefüllte Fragebögen n=897).

Die 1099 workforce bezeichnet unabhängige, über Vertrag Beschäftigte nach der Klassifizierung im US-amerikanischen Steuersystem (independent contractor) – also Solo-Selbstständige, die sich vertraglich an Firmen wie Uber binden aber eben in keinem Beschäftigungsverhältnis stehen. Die deskriptive Studie gibt eine Menge an Einblick, ich möchte hier aber nur einige wenige Ergebnisse darstellen, die zeigen wie sehr dieses neue Phänomen, das sich in anderer Form auch im Crowdworking oder bei Microwork findet – dem in der deutschen Debatte der Arbeitsforschung seit Jahren bekanntem Theorem des Arbeitskraftunternehmers entspricht.

Gefragt wird u.a. nach den „biggest pain points“ und da wird deutlich wie 1099er sich zu sich selbst nicht nur wie ein Unternehmer der eigenen Arbeitskraft sondern – das ist aus meiner Sicht eine Erweiterung des Arbeitskraftunternehmers – wie ein Unternehmen verhalten. Man könnte fast sagen: aus dem Arbeitskraftunternehmer ist eine Arbeitskraftunternehmung geworden. Denn die 1099er managen nicht nur sich und ihre Arbeit, sondern übernehmen dabei alle Funktionen, die sonst ein Unternehmen erfüllen muss:

  1. Auftragsbeschaffung und –sicherung: 49,2% nennen an erster Stelle „finding enough work“, insgesamt 21,7% nennen das Umgehen mit Kunden und das Management der Kundenzufriedenheit als relevante pain points.
  2. Effektivierung der Arbeit und der Arbeitsabläufe: 31,5% nennen hier „optimizing my schedule to maximize earnings und weitere 12,3% das Tracking der gearbeiteten Stunden;
  3. das Finanz- und Steuermanagement (dazu könnte man zählen: „understanding tax or legal obligations“, das 36,2% als pain point nennen oder „optimizing my schedule to maximize earnings“ – Nennung an zweiter Stelle im Ranking mit 31,5% und schließlich das „tracking income and expenses“ mit 25,6%).
  4. schließlich die Investition in den Kauf und Erhalt der Produktionsmittel – ursprünglich ja mal der entscheidende Punkt zur Unterscheidung von Klassen: Dazu finden sich viele spannende Zahlen an unterschiedlichen Punkten, z.B. zum Auto: „maintaining my car“ nennen 18,1% als pain point. Ridesharing drivers stecken im Monat 965 USD in ihr Fahrzeug, Lieferfahrer 374 USD – eingepreist sind dabei aber nur Versicherung, Reparaturen und Instandhaltung sowie Sprit, nicht die Anschaffung. Allerdings können sich 8% der ridesharing workers und sogar 16% der delivery workers gar keine Autoversicherung leisten.  Über die Anschaffungskosten des Autos sagt die Studie nichts aus. Aber an anderer Stelle zeigt sich: 32,7% des Einkommens geht alleine in den Unterhalt des Autos – im Ranking der Ausgaben steht dies bei allen Befragten 1099er – also nicht nur denen, die ein Auto für ihre on demand-Arbeit nutzen – an vierter Stelle. 
    Auch zu den Produktionsmitteln könnte man IT-Tools und -services zählen, die für die unter 1. bis 3. genannten Anforderungen benutzt werden (zur nötigen Hardware wird nichts gesagt, man erfährt dazu nur dass die Mehrheit ein iPhone als Smartphone hat, nichts aber zu den Anschaffun und weiteren Kosten). Obwohl viele Befragte mit kostenlosen Tools arbeiten, nutzen immerhin 47,9% der Befragten Bezahl-Tools und –services, welche finanziellen Aufwände dahinter stehen bleibt unklar, der „Unternehmens“-Zweck aber ist eindeutig: 26,6% nutzen Bezahltools für das Auto (Unterstützung bei der Instandhaltung und bei der Suche passender Versicherungsangebote) und damit für Produktionsmittel. 19,8% nutzen Bezahltools für die Optimierung der Abläufe (hour tracking und schedule optimization) und 25,5% bezahlen für IT-Services, die sie im Finanz- und Steuermanagement unterstützen (income/expense tracking und financial management). Selbst in 11,3% der Fälle werden die Aktivitäten zur privaten Fürsorge unterstützt durch kostenpflichtige IT-Tools oder Webservices.

Diese Zuordnung zu 1.-4. und damit die Einordnung als Phänomene der Arbeitskraftunternehmung stammen natürlich von mir, die Zahlen sind in der Studie selbst nicht in diesen Zusammenhang gestellt. Aber gerade diese Zusammenstellung quer über einzelne Studienergebnisse hinweg legt nahe: Der Arbeitskraftunternehmer ist zur Arbeitskraftunternehmung geworden – und damit gleichzeitig zum Objekt von weiteren Geschäftsmodellen, die anscheinend nötig bzw. möglich werden um das Leben als individuelle Unternehmung organisiert zu kriegen. Denn genau darauf wiederum richten sich die unter 4. dargestellten Bezahl-Tools und -services schließlich.

Die überall einsehbaren key findings der Studie geben viele andere interessante Hinweise: Etwa auf die Rolle von Freunden für die Rekrutierung und die Bindung ans Unternehmen oder darauf, dass Zeitsouveränität zwar als eine Hauptmotivation für diese Form des Arbeitens genannt wird. Gleichzetig ziegt die Studie, dass dieses Interesse besonders stark enttäuscht wird und vor allem deswegen nicht ausreichend befriedigt werden kann, weil aus finanziellen Gründen besonders in „peak and demand“ Zeiten gearbeitet wird.

Interessant fand ich auch, dass der größte Anteil der 1099er sich im Bereich manueller Arbeit abspielt, nämlich 52,5% (40,7% der Befragten sind im Ridesharing, 12,2% im Lieferservice). Und das obwohl insgesamt 39,5% einen akademischen Abschluss haben – davon 29,1% Bachelor. Während in Deutschland bislang fast nur von Uber oder AirBnB die Rede ist, sind die Befragten bei 78 unterschiedlichen Formen beschäftigt und im Anhang der Studie werden rd. 180 so arbeitende US-amerikanische Unternehmen aufgelistet.

Quelle: Jiang, A., Choi, D., Madan, I. and Saluja, S. (2015) The 2015 1099 Economy Workforce Report. Request for Startups. Ein Auszug von zentralen Ergebnissen findet sich hierDie komplette Studie von 113 Seiten kann für 99 USD plus Mwst. hier erworben werden.

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